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Wie das genügsame Moos unzählige Menschenleben in England rettete …

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Moos im Wald Bäume und Äste mit Moos bedeckt

… und wie die britischen Moorbewohner dies ermöglichten

Meist wächst dieses Torfmoos in kälteren und feuchten Gegenden, wie England, Schottland oder auch in Norddeutschland. Im Gartenbau verwendet man es und man kennt es auch durch Konservierung von Moorleichen, wie z.B. beim Tollund-Mann. Seit 1000 Jahren nutzen die Menschen Moos, auch Sphagnum genannt, um Wunden zu kurieren. Kann diese winzige, sternförmige Pflanze in Großbritannien tatsächlich Menschenleben gerettet haben?

Im ersten Weltkrieg war eine der größten medizinischen Herausforderungen auf dem Schlachtfeld, der weit um sich greifenden Sepsis millionenfach verwundeter Soldaten Herr zu werden, die vielen das Leben kostete. Zudem wurde bereits 1915 Verbandsmaterial knapp, und der Krieg hatte gerade erst begonnen.

Moos, Moossammler
Bild: tree-g, Pixabay

Sepsis nahm zu, Baumwolle wurde knapp und man lernte von dem Feind

Einer der Ärzte, die verzweifelt nach einer Lösung dieses Problems suchten, war Sir Watson Cheyne vom Royal College of Surgeons. Weder Verbände mit Karbolsäure, Formaldehyd noch Quecksilberchlorid brachten den gewünschten Erfolg für die Wundversorgung. Hinzu kam, dass es einfach zu wenig Baumwolle gab. Zu viel von dem Stoff hatte man für Uniformen oder Sprengstoff verbraucht (Schießbaumwolle/Cellulosenitrat). Zudem war die Lieferkette an Baumwolle aus Ägypten durch den Krieg unterbrochen. Schließlich fanden der Botaniker Isaac Bayley Balfour und der Militärchirurg Charles Walker Cathcart heraus, dass sich die Moosarten Sphagnum Papillosum und Sphagnum palustre am besten dazu eigneten, Blutungen zu stillen und die Wunden besser heilen zu lassen, also einer Sepsis vorzubeugen. Und in England, Irland und Schottland gab es die Pflanze in rauen Mengen. Gleichzeitig stellten sie fest, dass zu dem Zeitpunkt die Wundbehandlung mit Moos in Deutschland bereits gang und gäbe war. Man lernte also auch vom Feind.

Moos bedeckte Steine im Wald, Dartmoor, Moossammler
Moos gibt und gab es im Dartmoor in Hülle und Fülle

Torfverbände retteten Menschenleben

Je weiter der Krieg voranschritt, desto sprunghafter stieg der Bedarf an Verbandsmaterial an. Das Moos, das auch als „Verband der Natur“ bekannt ist, kann das 22-fache seines Eigengewichts an Flüssigkeit aufsaugen. Damit ist es wesentlich saugfähiger als Baumwolle, denn 90% der Mooszellen sind tot, d.h. leer, und können daher viel Flüssigkeit wie Blut und Eiter aufnehmen. Zum Vergleich: Watte kann nur das 6-fache des Eigengewichts an Flüssigkeiten aufnehmen. Zudem wirken die Moose antiseptisch dadurch, dass sie ihre Umgebung „sauer“ machen. So schaffen Torfverbände ein steriles Umfeld, indem sie den pH-Wert um die Wunde niedrig halten und somit das Bakterienwachstum hemmen und Infektionen verhindern. Auch dies war im Krieg von Vorteil, wo auch Jod knapp wurde.

Das britische Kriegsministerium machte sich diese Entdeckung zu eigen und forderte die Bevölkerung Schottlands, Irlands und im Dartmoor zum Sammeln von Moos auf. Ab jetzt ernteten und verarbeiteten hier Freiwillige Moos im großen Stil zu Verbandsmaterial.

Moos wird in Musselin Beutel gestopft für Verbandsmaterial
Das gereinigte und getrocknete Moos nähte man in Musselin Säckchen ein.
Quelle:https://historicengland.org.uk/images-books/photos/item/IOE01/15793/09, Photograph taken 7 February 1941 © Source: Historic England Archive ref: med01_01_1582

Scharen von freiwilligen Moossammlern in Schottland

Da sich moorige Gebiete am besten zum Moossammeln eigneten, rief man beispielsweise in der schottischen Region Moray Jugendliche dazu auf, die nützlichste Torfmoosart, Sphagnum, zu sammeln. Lokale Moossammeltrupps wurden organisiert und auch als solche beim Roten Kreuz registriert. Schulgruppen, Pfadfindergruppen und Ehrenligen ernteten das wertvolle Gut per Hand oder mit Harken, verstauten es in Säcken und brachten es in Schottland zu Sammelstellen. Hier reinigte man das Moos von groben Partikeln und Blättern und nähte es in große Säcke ein, die dann von der Great Northern Railway zum Edinburgh War Dressings Supply transportiert wurden. Hier sterilisierte man das Moos und ließ es trocknen, ehe man es Richtung Süden weiterschickte. Das gereinigte und getrocknete Moss nähte man dann mit je 2 Unzen (ca. 57 Gramm) Gewicht in Musselin Säckchen von ca. 25 x 35 cm ein. Etwa 1 Million Verbände stellte man so pro Monat her.

Boots auf Moos
Bild: boots – b Pixabay

„Moss Gatherers“ lieferten Rekordernte

Auch in Dartmoor transportierten eifrige freiwillige „moss gatherers“ das Gut mit Eseln oder Karren zu Sammelstellen wie in Mary Tavy. Das Moos, das sie in der Nähe von Princetown gesammelt hatten, brachten sie in einen Hof in der Nähe des Gefängnisses, das wir aus The Hound of Baskerville von Arthur Conan Doyle kennen. Die Frau des Gefängnisgouverneurs betreute eine Gruppe von Freiwilligen, die das Moos zu Verbänden verarbeiteten. Die Kosten hierfür übernahm das Herzogtum Cornwall. Von hier aus wurden wöchentlich 100 Säcke mit getrocknetem Moos und 500 Moosverbände in die Krankenhäuser verschickt. Ein Zentrum für die Verarbeitung des Mooses zu Verbänden wurde in Princetown 1915 vom Prince of Wales (späterer Edward VIII) finanziert. Die Körbe und Verbände stellte die Blindenanstalt in Plymouth her.

Auch in Tavistock unterhielt man ein Depot im Bedford Hotel, und in Okehampton füllte eine Bibelklasse 200 Säcke in 2 Monaten. John Durant brach hier sicher einen Rekord: Er sammelte mit einer speziellen Harke 1000 Pfund Moos und legte dabei insgesamt 800 Meilen zurück. Seine Ladung ging an die Freiwilligenorganisation Exeter.

Den Bewohnern aus Plymouth bot man ein besonderes Incentive zum Moossammeln in Dartmoor an. Über das Kriegsministerium konnten sie eine Eisenbahnfahrkarte nach Princetown erhalten, um so eine kostenlose Urlaubsfahrt ins Dartmoor zu ermöglichen.

Moossammler, Esel, Karren
Historische Moossammler im Süden der USA, Quelle: Library of Congress, UK

Weitere Artikel zum Dartmoor findest du hier in meinem Blog:

Die Wildnis Dartmoors ruft

Wenn es einen mystischen Ort gibt, dann Dartmoor.

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