Wie aus der Zeit gefallene Königinnen erscheinen Sie uns heute, doch ab den turbulenten 1920er Jahren bis 1980 hatten die „Queens of Industry“ ihren festen und durchaus sinnvollen Platz als Idole für die Industrie in einigen Industriezweigen Englands. Sie wurden ausgewählt, um die Baumwoll-, Eisenbahn-, Kohle- oder Textilindustrie zu unterstützen. Den Gedanken hinter dieser Idee als sexistisch abzutun, würde den damaligen Frauen und Gegebenheiten nicht gerecht werden.

„Queens of Industry“ – Idole für die englische Industrie

Vielmehr trug die Idee, „Queens of Industry“ zu küren der damaligen wirtschaftlichen Situation der verschiedenen Branchen Rechnung. In den 1920er Jahren verliehen sie dem Wunsch der Arbeiter Ausdruck, etwas zum Feiern zu haben, und um sie von der Härte des Arbeitslebens abzulenken. Nach dem zweiten Weltkrieg suchte man in der Wolle verarbeitenden Industrie händeringend Arbeiter. Die „Wool Queens“ erwiesen sich in dieser Notlage dabei als mächtiges PR-Werkzeug. Sie fungierten als Botschafterinnen, gefeierte Persönlichkeiten, manchmal sogar als Stars auf Bühne und Leinwand. Was sich wie ein Frühstücksdirektoren Posten anhört, bedeutete für die gewählten Frauen harte Arbeit. Einige der Baumwollköniginnen hatten einen vollen Terminkalender mit bis zu 150 Terminen pro Jahr.

Queens of Industry, Northumberland Coal Queen Deborah Bramley 1982
Courtesy of Leeds Museums & Galleries, Northumberland Coal Queen Deborah Bramley 1982

Queens of Industry als Marketingidee

Mit dem starken Rückgang des Baumwollexports rief seiner Zeit eine Zeitung einen Wettbewerb, ‘Cotton Queen Quest’, aus. Junge Frauen aus der Baumwollindustrie sollten Fotos von sich einschicken. In mehreren Runden wurden die attraktivsten und kompetentesten Frauen ausgewählt, die schließlich in der nationalen Endauswahl in Blackpool gekürt wurden. Dabei ging es nicht nur um das Aussehen, vielmehr mussten die Kandidatinnen über ihren jeweiligen Industriezweig gut Bescheid wissen. Um über die Produktion fachkundig sprechen zu können, durchliefen sie im Vorfeld einige Produktionsabteilungen. Im Aufwind von Kino, Zeitungen und verbesserter Bildqualität in der Berichterstattung war diese Marketingidee das geeignete Mittel der Zeit. In einigen Industriezweigen rekrutierten sich die “Queens” aus der weiblichen Arbeiterschaft, im Falle der Kohleindustrie kamen sie aus den Familien der männlichen Kohlearbeiter. So lag es nahe, dass die Frauen der jeweiligen Gemeinschaft, aus der sie stammten, eng verbunden waren. Deborah Barry war eine von ihnen und sie formulierte es so: „I don’t have blood in my veins, I have coal dust.“ – Ich habe kein Blut, sondern Kohlestaub in meinen Venen.

Stolz auf ihre damalige Rolle

Die „Queens“ erklären noch heute wie gut es sich anfühlte, wenn sie  ihre Gemeinschaften repräsentieren durften, wie stolz sie noch heute auf ihre damaligen Rollen waren und wie sehr sie diese geliebt haben. Sie lebten in dieser Rolle nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Familien, ihre Arbeitskollegen und standen für das woher sie kamen.

Einerseits spielten sie einen aktiven Part bei Zeremonien, eröffneten Ausstellungen und Schwimmbäder, kleinere örtliche Veranstaltungen, nahmen aber auch umfangreichere Aufgaben wahr. Janet Taylor zum Beispiel hielt allein an einem Wochenende in den Wolverton Lokomotiven Werken acht Ansprachen. Eine Eisenbahnkönigin reiste in den 1930er Jahren nach Russland, traf dort Stalins engste Mitarbeiter und nahm an einem Treffen mit Eisenbahnarbeitern teil, betrieb Lobbyarbeit bei Politikern und besuchte Arbeitsstätten.

Andere wie die Eisenbahnkönigin Lily Dumelow schickte 1931 eine Botschaft an die Derbyshire Disarmament Demonstration – Demonstration für Abrüstung – mit dem Hinweis, dass nachträgliches Bedauern nichts nütze, sondern dass es wichtig sei, Krieg im Vorfeld zu verhindern, ehe die nächste Generation vergessen hat, wie sich Krieg anfühlt.

Queen of Industrry,  Coal Queen Kerfoot bei Filmaufnahmen zum Film "The Three Piece Suit"
Coal Queen Doreen Kerfoot bei den Filmaufnahmen zum
Film  “The Three Piece Suit” 1947, ‘Courtesy of Leeds Museums & Galleries’

Sprung in eine andere soziale Klasse

Die Industry Queens kann man sicher ein Produkt Ihrer Zeit nennen. Mit weit weniger Unabhängigkeit, Freiheit und Kontrolle über ihr Leben als heute ausgestattet, waren sie ein Produkt einer patriarchalisch strukturierten Gesellschaft, deren Manager zum größten Teil männlich waren. Einige dieser Frauen konnten mit dieser Position einen Sprung in eine andere soziale Klasse erreichen. Für sie eröffneten sich damit Möglichkeiten, ihre Talente wie z.B. Gesang, Schauspiel oder Design auszuleben.

Ab 1980 war die Ära der „Queens of Industry” zu Ende. Die Rolle der Frauen veränderte sich sehr stark während der Streiks der Minenarbeiter. Ihre Aktivitäten fokussierten sich auf das Fundraising und die Unterstützung der Kampagnen.

Noch bis September 2019 zeigt das Leeds Industrial Museum die sehr empfehlenswerte Ausstellung zur Geschichte der „Industrial Queens“.

Zur Ausstellung gehören auch Filmberichte von Frauen in heutigen von Männern dominierten Industriebereichen.

Zu Industrie Schottlands siehe den Artikel „Harris Tweed“.

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