Das grüne Fieber: Wie das britische Empire die Farnmanie
anheizte
Im 17. Jahrhundert nahm das Interesse daran etwas zu, als
exotischere Arten aus wärmeren Klimazonen ihren Weg in die Botanik und zu
privaten Sammlern fanden. Bald entdeckte man schließlich die Methode, Farn
durch ihre Sporen zu kultivieren. Aber erst im 19. Jahrhundert sah man das
Gärtnern nicht mehr nur als Zeitvertreib der Reichen an, sondern es breitete
sich über die neu entstehende Mittelklasse Großbritanniens aus. Unmengen von
Gärtnerliteratur, die Ratgeber und Anweisungen enthielten, taten das Ihre. Viele
der Farnexperten gehörten der British Pterological Society an. Sie betrachteten
sich weniger als Förderer eines Wahns als vielmehr eines Kults.
Tausende neuer Spezies überschwemmten das Land, als
Pflanzensucher und -sammler in die Weiten des britischen Empires ausschwärmten.
Aber auch landeseigene Züchtungen erreichten einen Höhepunkt. Gärtnereien warben
unter anderem damit, dass das Sammeln von Farnen in der britischen Landschaft
die Intelligenz und die geistige Gesundheit fördere. Was als Faszination unter
Amateurbotanikern begann, entwickelte sich schnell zu einer Begeisterung. Die
zahlreichen Bücher und Zeitschriften, die zu diesem Thema veröffentlicht wurden,
trugen nur dazu bei, solche Ideen zu verstärken. Da viele dieser in Großbritannien
vorkommenden Pflanzen noch nicht katalogisiert waren, waren Amateurbotaniker einsatzbereit,
bewaffnet mit den aktuellen veröffentlichten Bestimmungsbüchern die neue
Spezies als erstes zu lokalisieren. In Großbritannien gibt es 60 heimische
Arten, weltweit 13000 – 15000.
Da einige Farnkulturen nicht so einfach zu kultivieren waren, schossen die Preise hierfür auch in die Höhe. Eine nicht-britische Art konnte durchaus nach heutigem Wert bis zu 1000 £ kosten.
Farne bei den Hollow Ways in Dorset, Bild: Sieglinde Fiala
Viktorianische Frauen und die Farnjagd: Ein Ticket in die Freiheit
Dieser bizarre Sport wurde auch bei Frauen beliebt, denn die
Botanik war eines der wenigen Hobbys, die ihnen damals offenstanden. Und da es
als angenehmes, harmloses Freizeitvergnügen für Damen der Mittelschicht galt,
sollen viele Gastgeberinnen ihre üblichen Afternoon Tea Partys zugunsten von
organisierten Picknick-Ausflügen zum Sammeln von Farnen aufgegeben haben. So
schrieb ein anonymer britischer Autor 1861: „Man kann zugeben, dass nicht alle
Eleganz des Strickens und Häkelns den leichten Fingern des schönen Geschlechts
jemals eine so angenehme Beschäftigung bot wie ein paar Taschen mit
Farn…“.
Die Gruppen auf der Jagd nach Farnen boten zudem die einmalige Gelegenheit, dass sich Geschlechter unauffällig mischen konnten und sogar jungen Damen die Möglichkeit boten, sich unbegleitet einer Aktivität in der Natur zu widmen. (skandalös!!) Denn die Jagd nach den Farnen galt als moralisch, gesund und lehrreich.
Raubbau mit der Natur
Leider führte der Eifer der viktorianischen Sammler zu einem
erheblichen Rückgang der Wildpopulationen einer Reihe seltener einheimischer
Farnarten, und einige haben sich bis heute nicht erholt. Neben Landbewohnern,
die sich mit dem Sammeln von Farnen etwas dazuverdienen wollten, holten
kommerzielle Farnsammler die Pflanzen buchstäblich karrenweise vom Land und
schickten sie per Bahn in die Städte, wo sie auf der Straße verkauft oder sogar
von Tür zu Tür verhökert wurden.
Leider gab es auch Auswüchse beim Farnsammeln. So plünderten in Großbritannien marodierende Farnräuber die Natur, um an die Pflanzen zu gelangen. In Devon bestrafte man 1896 schließlich zwei Farnräuber zu vier bis sechs Wochen harter Arbeit, nachdem sie ihre Strafzahlung nicht leisten konnten.
Farne: ein reizvolles Urlaubssouvenir
Derbyshire, Yorkshire, Shropshire und Staffordshire wurden
dank des feuchtwarmen Klimas Hotspots für die Farne, und die Erschließung der
ländlichen Gebiete mit der Eisenbahn trug ihr Übriges zur Verbreitung bei.
Karrenweise konnte man das wertvolle Erntegut mit der Eisenbahn zum Beispiel nach
Killarney/Irland transportieren, das damals bereits eine Touristenstadt war. In
Alben gepresst, waren sie ein reizvolles Urlaubssouvenir. Die Landbevölkerung machte
sich den „Fern Craze“ insofern zunutze, als sie Touristen aus der Mittelklasse
zu den Farnfundorten führte und sich damit einen extra Shilling verdiente. Eine
sehr populäre Beschäftigung für Kinder, die ihre Geheimplätze nicht preisgaben
und den Herrschaften anboten, sie gerne an die Fundorte zu führen, wobei sie ihnen
versicherten, dass es für den Gentleman oder die Lady viel zu gefährlich wäre,
sie selbst aufzuspüren.
Wertvolle Farne: der Zierkasten im Mittelpunkt des Salons
Für diejenigen Sammler, die ihre Schmuckstücke zuhause ausstellen wollten, erfand man den „Wardian Case “, benannt nach seinem Erfinder Nathaniel Bagshaw Ward . Es erwies sich als nützlich, wenn die Pflanzen nicht dem Ruß der offenen Kamine und Öllampen ausgesetzt waren, und in diesem Minitreibhaus hatten sie Licht und Feuchtigkeit. Kurz gesagt, es handelt sich hierbei um einen sehr dekorativen, ornamentreichen Glaskasten auf Beinen, seinerzeit das Nonplusultra für Botaniker. Häufig waren diese Miniglashäuser mit künstlichen Landschaften, Fossilien oder Muscheln ausstaffiert. Man könnte sagen, dass der „Wardian Case“ eines der wichtigsten Elemente des Farnwahns war. Schließlich war er ein Ausstellungsstück für Empfangsräume und Salons der Mittelklasse.
Für die Pflege der Farne waren die Ladys zuständig
Es gab ihn in allen Formen, Größen und Stilen auf, einschließlich griechisch, rustikal, Rokoko etc. Die Pflege der Pflanzen in den Minitreibhäusern kam den Ladys zu, denn diese waren für die sogenannte häusliche Blumenkultur zuständig. In Ratgebern ist der Hinweis zu finden, dass die kleinen Treibhäuser auch im Krankenzimmer wahre Wunder bewirkten, indem sie den Kranken aufmunterten. Die Krankenpflege oblag ohnehin den Frauen. Auch in Mauernischen von langen Krankenhausgängen sollten sie den Kranken Linderung verschaffen.
Der „Wardian Case“ als kleines Gewächshaus in den Salons für die Farne, Bild. Wiki Commons
Die Kunst der Farnkultivierung in viktorianischer Eleganz
In großen Farntreibhäusern tobten sich die Erbauer dann wahrlich aus: Nischen, Höhlen, Grotten oder sogar unterirdische Gänge oder Aussichtsplattformen gestalteten die großen Farnhäuser. Und natürlich gehörte jede Menge Wasser dazu. Farnhäuser wurden zur kühlen, schattigen Oase, üppig und feucht. Meist waren es Kaskaden oder Springbrunnen, denn Wasser war unerlässlich. Farne pflanzten sie auch in mit Moos ausgekleidete Körbe, die von der Decke oder an Drähten hingen. Blackpool trumpfte hier mit einem riesigen Farnhaus auf. Der 1878 eröffnete Blackpool Winter Garden war fast 60 Meter lang, mit Felswänden, Wasserfällen und Wegen, die sich um große Felsbrocken, über Treppen und durch Bögen inmitten von 30-40 Fuß hohen Baumfarnen schlängelten. Manchmal fand man sogar Vögel, Frösche, Schildkröten, Goldfische oder Affen in Farnhäusern.
Unter dem Motto „Farnpflanzen für alle“ nahmen sich Kuratoren der großen botanischen Gärten der Spezies an. So konnte Kew Gardens in London 1822 vierzig Farnarten verzeichnen, die über die nächsten Jahre auf 1000 Farne und 1887 auf eine Sammlung von 5000 Farnen anwuchsen.
Viktorianischer Farngarten , Benmore Botanic Gardens, Bild: James T.M. Towill, CC BY-SA 2.0, Wiki Commons
Um „vernünftigen Unterhaltungsstoff“ anzubieten, errichtete man
zwischen 1870 bis 1914 über 200 dieser Farnhäuser in Badeorten. Sie sollten die
Besucher von ihrem Alltagsleben ablenken und in eine verzauberte Welt entführen.
Im orientalischen Stil gebaut, verzückten die Wintergärten ihre Gäste mit exotischen
Pflanzen, Palmen und Baumfarnen. Schließlich war es in viktorianischer und
Edwardianischer Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit, bei jeglicher Art
Ausstellungen ein Farnhaus zu integrieren.
Farne kamen auch bei Musik und Schauspiel zum Einsatz. Bei
den Promenadenkonzerten des Covent Garden in London zum Beispiel waren
die Einzugswege mit kühlen Grotten, Farnen und Springbrunnen ausgestattet.
Überall Farn-Flair: von der Mode bis zur Wohnkultur
Farne wurden ein beliebtes Muster oder Emblem sowohl in Holz als auch in Stein oder Eisen. Auch Textilien blieben davon nicht unberührt: Teppiche, Damast, Häkelarbeiten, bedruckter Stoff und Bänder. Auch die Spitzenmacher von Honiton/Devon klöppelten sie in ihre Handarbeiten ein. Natürlich machte das Farndesign auch nicht vor Keramik- und Porzellanmanufakturen Englands Halt. Krüge, Zuckerdosen, Vasen und Essgeschirr dekorierte man mit Farnen, ebenso Glasgegenstände.
Wedgwood Vase mit Farndekor, Bild: Auckland Museum, CC BY 4.0via Wikimedia Commons
Verblassende Raserei – Wie der Farn-Wahn nachlässt
Ganz langsam nahm auch diese Modeströmung ab. Der „Wardian
Case“, der die Pflanzen vor der Verschmutzung durch Öl- und Gaslampen schützte,
war mit der Erfindung des elektrischen Lichts nun nicht mehr nötig. Die Farne
wurden den neuen Trends entsprechend zusammen mit Moosen und Bambus in
japanische Gärten und auch in alpine Steingärten integriert. Der Farn zog aus
dem warmen Glashaus an die frische Luft, auf Veranden und in die Gärten. Das endgültige
Aus des Fern Craze war dann mit dem 1. Weltkrieg gekommen. Es gab nur noch
wenige Gärtner und ihr Wissen um die Pflanzen verschwand.
Das Eden-Project – eine zeitgenössische Hommage an die viktorianischen
Farngärten
Die bepflanzte Glasflasche stellte in den 1960er und 1970er Jahren noch eine Art Revival des „Wardian Case“ dar. Und in den 1990er Jahren begann man, alte viktorianische Farnhäuser sukzessive zu renovieren, wie zum Beispiel Benmore Botanic Garden . 2001 eröffnete das Eden Project in Cornwall seine größten Wintergärten der Welt. Sie lassen den Geist der großartigen Ausstellungen mit Erlebnis Charakter des 19. Jahrhunderts wieder aufleben. Noch hat die britische Bevölkerung nicht den einstigen Farnwahnsinn erreicht, aber es gibt Anzeichen dafür.
Eden Project Cornwall, Bild: Benjamin Elliott – Unsplash
Siehe hierzu auch meinen Artikel Der Landschaftsgarten sollte ein Spiegel der Natur sein
Hohlwege in Dartmoor und Dorset