Start Lifestyle Pteridomanie: Die viktorianische Farnsucht enträtseln

Pteridomanie: Die viktorianische Farnsucht enträtseln

1008
0
Farne im Glashaus, Farnpflanzen Farngärten Farnwahn
Viktorianische Farngärten

Könntest du dir vorstellen, dass der Farn einmal zu deinen „Must-haves“ des Lebens gehört? Zugegeben, rhetorische Frage. In viktorianischer Zeit jedoch gab es für Amateurbotaniker und Gärtner kaum etwas, was sie leidenschaftlicher in ihr Repertoire aufnehmen wollten. Besessen von der ästhetischen Faszination, sammelten und züchteten sie diese Pflanze aus fernen Ländern, präsentierten sie als Schaustück in ihren Salons und tauschten sie untereinander. Interessensgruppen, Zuchtspezialisten und Unmengen von Literatur über Farne schossen aus dem Boden. Und das in einem Maße, dass sich diese Leidenschaft wie eine Epidemie über alle sozialen Klassen der britischen Gesellschaft ausbreitete. „Pteridomanie“ nannte man diese Sucht. Man könnte sagen, dass die Vorliebe für Exotik durch das Wachstum des britischen Empires stark angefacht wurde.

Pteridomanie Farnsammler
Farnsammler in viktorianischer Zeit, Bild: Von der Obskurität zur Besessenheit – Der bemerkenswerte Boom des Farnsammelns

Einige erwarben ihre Farne bei Sammlern oder von der Landbevölkerung, die sich damit etwas Geld dazuverdiente. Andere sammelten die Farne in der Natur, und wer dem Farn völlig verfallen war, tat beides. Er war so beliebt, dass man ihn als Motiv auf Keramik, Kleidung, Gartenmöbeln und anderen Dekoartikeln fand. Seinen Höhepunkt erreichte dieses Farnfieber zwischen 1850 und 1890. Selbst bis zum 1. Weltkrieg hielt sich die Popularität dieses Gewächses.

Ein Journalist der Times beschrieb 1891 das begehrte Objekt: Die Farne sind „mit Quasten, Federn, Fransen, Kräuseln, Rüschen und Locken versehen“. Ich finde, das ist eine treffende Bezeichnung für vielfältige, üppige Gewächse mit spitzenartigem Laub. Autoren und Gärtner verkündeten, dass die Liebe zu einem blütenlosen Farn auf einen kultivierten Intellekt und einen raffinierten Geschmack hinweise. Wer wollte da schon gewöhnlich oder vulgär erscheinen.

Vor dem 19. Jahrhundert interessierte sich kaum ein Gärtner hierfür. Sie hatten etwas Mysteriöses an sich, diese Farne, schon allein wegen ihrer Fortpflanzungsweise ohne Blüten und Samen. Dennoch verwendete man einige Farne als eine Art Kraut oder Gestrüpp als Einstreu für die Tiere, als Wedel zum Insektenvertreiben oder als Mulch.

Mädchen mit Korb und Farnen
The Plant Gatherer (Charles Sillem Lidderdale 1877) Farnsammlerin Das grüne Fieber: Wie das britische Empire die Farnmanie anheizte

Im 17. Jahrhundert nahm das Interesse daran etwas zu, als exotischere Arten aus wärmeren Klimazonen ihren Weg in die Botanik und zu privaten Sammlern fanden. Bald entdeckte man schließlich die Methode, Farn durch ihre Sporen zu kultivieren. Aber erst im 19. Jahrhundert sah man das Gärtnern nicht mehr nur als Zeitvertreib der Reichen an, sondern es breitete sich über die neu entstehende Mittelklasse Großbritanniens aus. Unmengen von Gärtnerliteratur, die Ratgeber und Anweisungen enthielten, taten das Ihre. Viele der Farnexperten gehörten der British Pterological Society an. Sie betrachteten sich weniger als Förderer eines Wahns als vielmehr eines Kults.

Tausende neuer Spezies überschwemmten das Land, als Pflanzensucher und -sammler in die Weiten des britischen Empires ausschwärmten. Aber auch landeseigene Züchtungen erreichten einen Höhepunkt. Gärtnereien warben unter anderem damit, dass das Sammeln von Farnen in der britischen Landschaft die Intelligenz und die geistige Gesundheit fördere. Was als Faszination unter Amateurbotanikern begann, entwickelte sich schnell zu einer Begeisterung. Die zahlreichen Bücher und Zeitschriften, die zu diesem Thema veröffentlicht wurden, trugen nur dazu bei, solche Ideen zu verstärken. Da viele dieser in Großbritannien vorkommenden Pflanzen noch nicht katalogisiert waren, waren Amateurbotaniker einsatzbereit, bewaffnet mit den aktuellen veröffentlichten Bestimmungsbüchern die neue Spezies als erstes zu lokalisieren. In Großbritannien gibt es 60 heimische Arten, weltweit 13000 – 15000.

Da einige Farnkulturen nicht so einfach zu kultivieren waren, schossen die Preise hierfür auch in die Höhe.  Eine nicht-britische Art konnte durchaus nach heutigem Wert bis zu 1000 £ kosten.

Farne und Baum
Farne bei den Hollow Ways in Dorset, Bild: Sieglinde Fiala

Viktorianische Frauen und die Farnjagd: Ein Ticket in die Freiheit

Dieser bizarre Sport wurde auch bei Frauen beliebt, denn die Botanik war eines der wenigen Hobbys, die ihnen damals offenstanden. Und da es als angenehmes, harmloses Freizeitvergnügen für Damen der Mittelschicht galt, sollen viele Gastgeberinnen ihre üblichen Afternoon Tea Partys zugunsten von organisierten Picknick-Ausflügen zum Sammeln von Farnen aufgegeben haben. So schrieb ein anonymer britischer Autor 1861: „Man kann zugeben, dass nicht alle Eleganz des Strickens und Häkelns den leichten Fingern des schönen Geschlechts jemals eine so angenehme Beschäftigung bot wie ein paar Taschen mit Farn…“.

Die Gruppen auf der Jagd nach Farnen boten zudem die einmalige Gelegenheit, dass sich Geschlechter unauffällig mischen konnten und sogar jungen Damen die Möglichkeit boten, sich unbegleitet einer Aktivität in der Natur zu widmen. (skandalös!!) Denn die Jagd nach den Farnen galt als moralisch, gesund und lehrreich.

Raubbau mit der Natur

Leider führte der Eifer der viktorianischen Sammler zu einem erheblichen Rückgang der Wildpopulationen einer Reihe seltener einheimischer Farnarten, und einige haben sich bis heute nicht erholt. Neben Landbewohnern, die sich mit dem Sammeln von Farnen etwas dazuverdienen wollten, holten kommerzielle Farnsammler die Pflanzen buchstäblich karrenweise vom Land und schickten sie per Bahn in die Städte, wo sie auf der Straße verkauft oder sogar von Tür zu Tür verhökert wurden.

Leider gab es auch Auswüchse beim Farnsammeln. So plünderten in Großbritannien marodierende Farnräuber die Natur, um an die Pflanzen zu gelangen. In Devon bestrafte man 1896 schließlich zwei Farnräuber zu vier bis sechs Wochen harter Arbeit, nachdem sie ihre Strafzahlung nicht leisten konnten.

Farne: ein reizvolles Urlaubssouvenir

Derbyshire, Yorkshire, Shropshire und Staffordshire wurden dank des feuchtwarmen Klimas Hotspots für die Farne, und die Erschließung der ländlichen Gebiete mit der Eisenbahn trug ihr Übriges zur Verbreitung bei. Karrenweise konnte man das wertvolle Erntegut mit der Eisenbahn zum Beispiel nach Killarney/Irland transportieren, das damals bereits eine Touristenstadt war. In Alben gepresst, waren sie ein reizvolles Urlaubssouvenir. Die Landbevölkerung machte sich den „Fern Craze“ insofern zunutze, als sie Touristen aus der Mittelklasse zu den Farnfundorten führte und sich damit einen extra Shilling verdiente. Eine sehr populäre Beschäftigung für Kinder, die ihre Geheimplätze nicht preisgaben und den Herrschaften anboten, sie gerne an die Fundorte zu führen, wobei sie ihnen versicherten, dass es für den Gentleman oder die Lady viel zu gefährlich wäre, sie selbst aufzuspüren.

Wertvolle Farne: der Zierkasten im Mittelpunkt des Salons

Für diejenigen Sammler, die ihre Schmuckstücke zuhause ausstellen wollten, erfand man den „Wardian Case“, benannt nach seinem Erfinder Nathaniel Bagshaw Ward. Es erwies sich als nützlich, wenn die Pflanzen nicht dem Ruß der offenen Kamine und Öllampen ausgesetzt waren, und in diesem Minitreibhaus hatten sie Licht und Feuchtigkeit. Kurz gesagt, es handelt sich hierbei um einen sehr dekorativen, ornamentreichen Glaskasten auf Beinen, seinerzeit das Nonplusultra für Botaniker. Häufig waren diese Miniglashäuser mit künstlichen Landschaften, Fossilien oder Muscheln ausstaffiert. Man könnte sagen, dass der „Wardian Case“ eines der wichtigsten Elemente des Farnwahns war. Schließlich war er ein Ausstellungsstück für Empfangsräume und Salons der Mittelklasse.

Für die Pflege der Farne waren die Ladys zuständig

Es gab ihn in allen Formen, Größen und Stilen auf, einschließlich griechisch, rustikal, Rokoko etc. Die Pflege der Pflanzen in den Minitreibhäusern kam den Ladys zu, denn diese waren für die sogenannte häusliche Blumenkultur zuständig. In Ratgebern ist der Hinweis zu finden, dass die kleinen Treibhäuser auch im Krankenzimmer wahre Wunder bewirkten, indem sie den Kranken aufmunterten. Die Krankenpflege oblag ohnehin den Frauen. Auch in Mauernischen von langen Krankenhausgängen sollten sie den Kranken Linderung verschaffen.

Wardian Case Glastreibhaus für Farne
Der „Wardian Case“ als kleines Gewächshaus in den Salons für die Farne, Bild. Wiki Commons

Die Kunst der Farnkultivierung in viktorianischer Eleganz

In großen Farntreibhäusern tobten sich die Erbauer dann wahrlich aus:  Nischen, Höhlen, Grotten oder sogar unterirdische Gänge oder Aussichtsplattformen gestalteten die großen Farnhäuser. Und natürlich gehörte jede Menge Wasser dazu. Farnhäuser wurden zur kühlen, schattigen Oase, üppig und feucht. Meist waren es Kaskaden oder Springbrunnen, denn Wasser war unerlässlich. Farne pflanzten sie auch in mit Moos ausgekleidete Körbe, die von der Decke oder an Drähten hingen. Blackpool trumpfte hier mit einem riesigen Farnhaus auf. Der 1878 eröffnete Blackpool Winter Garden war fast 60 Meter lang, mit Felswänden, Wasserfällen und Wegen, die sich um große Felsbrocken, über Treppen und durch Bögen inmitten von 30-40 Fuß hohen Baumfarnen schlängelten. Manchmal fand man sogar Vögel, Frösche, Schildkröten, Goldfische oder Affen in Farnhäusern.

Unter dem Motto „Farnpflanzen für alle“ nahmen sich Kuratoren der großen botanischen Gärten der Spezies an. So konnte Kew Gardens in London 1822 vierzig Farnarten verzeichnen, die über die nächsten Jahre auf 1000 Farne und 1887 auf eine Sammlung von 5000 Farnen anwuchsen.

Farn Wintergarten mit Treppe und Grotte Benmore Botanic Gardens
Viktorianischer Farngarten , Benmore Botanic Gardens, Bild: James T.M. Towill, CC BY-SA 2.0, Wiki Commons

Um „vernünftigen Unterhaltungsstoff“ anzubieten, errichtete man zwischen 1870 bis 1914 über 200 dieser Farnhäuser in Badeorten. Sie sollten die Besucher von ihrem Alltagsleben ablenken und in eine verzauberte Welt entführen. Im orientalischen Stil gebaut, verzückten die Wintergärten ihre Gäste mit exotischen Pflanzen, Palmen und Baumfarnen. Schließlich war es in viktorianischer und Edwardianischer Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit, bei jeglicher Art Ausstellungen ein Farnhaus zu integrieren.

Farne kamen auch bei Musik und Schauspiel zum Einsatz. Bei den Promenadenkonzerten des Covent Garden in London zum Beispiel waren die Einzugswege mit kühlen Grotten, Farnen und Springbrunnen ausgestattet.

Überall Farn-Flair: von der Mode bis zur Wohnkultur

Farne wurden ein beliebtes Muster oder Emblem sowohl in Holz als auch in Stein oder Eisen. Auch Textilien blieben davon nicht unberührt: Teppiche, Damast, Häkelarbeiten, bedruckter Stoff und Bänder. Auch die Spitzenmacher von Honiton/Devon klöppelten sie in ihre Handarbeiten ein. Natürlich machte das Farndesign auch nicht vor Keramik- und Porzellanmanufakturen Englands Halt. Krüge, Zuckerdosen, Vasen und Essgeschirr dekorierte man mit Farnen, ebenso Glasgegenstände.

Vase mit Farnmuster
Wedgwood Vase mit Farndekor, Bild: Auckland Museum, CC BY 4.0via Wikimedia Commons

Verblassende Raserei – Wie der Farn-Wahn nachlässt

Ganz langsam nahm auch diese Modeströmung ab. Der „Wardian Case“, der die Pflanzen vor der Verschmutzung durch Öl- und Gaslampen schützte, war mit der Erfindung des elektrischen Lichts nun nicht mehr nötig. Die Farne wurden den neuen Trends entsprechend zusammen mit Moosen und Bambus in japanische Gärten und auch in alpine Steingärten integriert. Der Farn zog aus dem warmen Glashaus an die frische Luft, auf Veranden und in die Gärten. Das endgültige Aus des Fern Craze war dann mit dem 1. Weltkrieg gekommen. Es gab nur noch wenige Gärtner und ihr Wissen um die Pflanzen verschwand.

Das Eden-Project – eine zeitgenössische Hommage an die viktorianischen Farngärten

Die bepflanzte Glasflasche stellte in den 1960er und 1970er Jahren noch eine Art Revival des „Wardian Case“ dar. Und in den 1990er Jahren begann man, alte viktorianische Farnhäuser sukzessive zu renovieren, wie zum Beispiel Benmore Botanic Garden. 2001 eröffnete das Eden Project in Cornwall seine größten Wintergärten der Welt. Sie lassen den Geist der großartigen Ausstellungen mit Erlebnis Charakter des 19. Jahrhunderts wieder aufleben. Noch hat die britische Bevölkerung nicht den einstigen Farnwahnsinn erreicht, aber es gibt Anzeichen dafür.

Eden Project Cornwall Glaskugeln im grünen
Eden Project Cornwall, Bild: Benjamin Elliott – Unsplash

Siehe hierzu auch meinen Artikel Der Landschaftsgarten sollte ein Spiegel der Natur sein

Hohlwege in Dartmoor und Dorset