Start Stories Dartmoor Weihnachtsgruseln

Dartmoor Weihnachtsgruseln

Gruselgeschichte Nr. 1

2339
0
hands holding a skull with candles and pumpkin
Bild: Barczewo, Unsplash

Was wären Halloween und Weihnachten ohne eine Gruselgeschichte und am besten eignet sich hierfür das winterliche Dartmoor. Dort, wo Moore und Wesen – wenn es sich auch nur um Schafe und Ponys handelt – vom Nebel verschluckt werden und kein Geräusch die Einsamkeit durchdringt. Genau dort ereignet sich Unheimliches, wie wir von Sherlock Holmes in Der Hund von Baskerville wissen. Wer kann einem einsamen Reisenden schon das Gegenteil beweisen, wenn er bei allen Heiligen schwört, dass es sich 1847 genauso zugetragen habe. Hier gebe ich also das gruselige Erlebnis eines jungen Mannes weiter, der in Dartmoor geboren und aufgewachsen ist und das sich zu der Zeit zugetragen haben soll, als er seinerzeit in Oxford studierte.

Dartmoor im Winter
Dartmoor im Winter, Bild: Anni Spratt – Unsplash

“In jenem Jahr (1847) fiel Weihnachten auf einen Samstag. Ich verließ Oxford erst Donnerstag und nachdem ich die Nacht in Exeter zugebracht hatte, nahm ich am nächsten Tag den Bus nach Plymouth. Erst spät am Weihnachtsabend fuhren wir vor der Tür des „Old Four Castles“ in der Old Town Street vor. Die Nacht war kalt und Gefäße mit heißem Punsch, Eierpunsch, für den dieses Lokal bekannt und der mit Weizenbier gewürzt war, dampften auf dem Tisch. Von Plymouth bis zu mir nach Hause waren es gut zwanzig Meilen. Obgleich das Tier, das man mir geschickt hatte, wie alle Dartmoor Ponys gut zu Fuß war, so waren die zwanzig Meilen dennoch keine heitere Aussicht aufgrund der Dunkelheit an einem Weihnachtsabend über Wege, so glatt wie Glas und so steil wie die Seitenwand eines Hauses. Aber ich hatte nun einmal versprochen, am Weihnachtsmorgen zu Hause zu sein. So knöpfte ich entschlossen meinen Mantel bis zum Kinn zu, übergab mein Gepäck meinem Gastgeber, damit er es am nächsten Tag wegschicken könne und bestieg mein Pferd, wobei ich den Versuchungen der dampfenden Punsch Gefäße ebenso widerstand wie den Warnungen der Farmer im Schankraum. ‚An einem Weihnachtsabend und dazu einem Freitag, reiten die Kobolde neben dir!’ Ich stimmte lachend mit ein, dass ich es immer gewohnt war, die Kobolde dadurch zu besänftigen, indem ich eine Münze auf den Boden einer ihrer Höhlen warf, so dass ich mich nicht vor ihnen fürchten musste.

Mädchen mit blauen Flügeln irrt im Wald umher
Dartmoor – immer ein Ort für mystische Geschichten, Bild: Alex Grodkiewicz – Unsplash

Ich verließ Plymouth über die gute Straße Richtung Norden nach Tavistock. Die ersten fünf oder sechs Meilen waren einfach. Eine Reihe langsamer Anstiege durch einigermaßen bewohntes Land brachten mich in höhere, kargere Gegenden, die an die Wildnis der Devonshire Highlands angrenzten. Ich kam durch einige Dörfer und konnte durch die zugefrorenen Fenster schauen, die jetzt teilweise blind vom Schnee waren, der jetzt in dicken Flocken zu fallen begann. Ausgelassene Gruppen versammelten sich um den „Ashen Faggot“, tranken ihren Gewürzmet und heißen Holunder Wein, rauchten lange Pfeifen und sangen „keeping up of Chrissymas“. Ich muss zugeben, dass ich die Feiernden beneidete. Denn neben dem körperlichen Unwohlsein eines Ritts im Schnee mitten im Winter, gab es noch andere Bedenken, die meine Reise nicht besonders erfreulich machten. Es war dem verwirrten und notleidenden Land, wie sich diejenigen, die sich den Winter 1847-8 ins Gedächtnis rufen, erinnern mögen, geschuldet. Daher waren isolierte Straßen im Moor auf keinen Fall der sicherste Ort für einen Mann bei Nacht, der eine Geldbörse in seiner Tasche trug. Zudem hatten einige Abschnitte an dieser Straße einen sehr unappetitlichen Ruf. Es kursierten Geschichten über Leichenräuber, die man zufällig bei ihrer unchristlichen Tat im Kirchhof entfernt gelegener kleiner Gemeinden beobachtet hatte, die ihren glücklosen Beobachtern den Schädel einschlugen und die deren sterbliche Überreste zusammen mit den anderen Leichen als Studienobjekte nach London für Medizinstudenten schleppten.

Moor Nebel mit Cottage
Moor Cottage im Nebel, Bild: M. Wrona – Unsplash

Nun, diese grausige Geschichte betraf nur etwa  eine Meile der Straße. Als ich weiter zog in die Moore, wurde die Reise immer beschwerlicher.  Obgleich es inzwischen aufgehört hatte zu schneien, lag der Schnee so hoch auf dem Boden, dass es gerade genug war, die offensichtlichen Grenzmarkierungen der Straße zu den  Flecken des offenen Gemeindelandes, die jetzt größer und häufiger wurden, zu übersehen. Auch machte das Überfrieren den Tritt meines Pferde so unsicher, so dass ich, noch ehe ich einige Meilen weiter reiten konnte, gezwungen war, abzusteigen und das dumme Vieh zu führen, um überhaupt voran zu kommen. Immer wieder musste ich kleinere Bergeinschnitte und Täler von einigen Dartmoor Bächen, die Plym oder Tamar füllten und die Hügel hinunter flossen,  durchqueren. Diese Täler waren im Allgemeinen dicht bewaldet. Da der Schnee nur sparsam dazwischen den Bäumen lag, war die Dunkelheit der tieferen Straßenteile hier in starkem Kontrast zu den schneebedeckten Pfaden im höheren Moor. Als ich durch eines der Bergeinschnitte ritt, beobachtete ich durch den Schein einen kleinen dunklen Körper, der ganz offensichtlich vor mir her hoppelte. Seit einer Stunde schon hatte ich keinen Menschen mehr gesehen und es war inzwischen Mitternacht, also beeilte ich mich etwas, um meinen Mitreisenden an einem helleren Fleck einzuholen. Sobald wir wieder begannen, den Hügel hinaufzusteigen, sah ich mich gezwungen, schnell wieder abzusteigen, da der Hang steil und vollständig zugefroren war. Obgleich es äußerst schwer war zu gehen, wobei ich das Pferd fast hinter mir her ziehen musste, überholte ich das Objekt, das meine Aufmerksamkeit geweckt hatte. Beim Überholen stellte ich fest, dass es eine kleine alte Frau war, die in Schwarz und dunkle Farben gekleidet war mit einer sehr seltsamen altmodischen Haube. Sie ging sehr schwerfällig, als ob sie müde oder fußkrank wäre und doch ansonsten mit bemerkenswerter Leichtigkeit, wenn man den rutschigen Zustand der Straße bedachte. Sie schaute stets nach vorne, umfasste mit ihren Händen jedoch nervös etwas, das wie eine Ledertasche aussah. Ich entbot ihr den üblichern Devonshire Gruß „Guten Abend, Mutter’ in einem so fröhlichen Ton wie ich nur konnte, aber sie lief weiter, als ob sie mich nicht gehört hätte. Gerade als ich an ihr vorbeigegangen war, gab uns eine Wolkenlücke oder eine Kurve in der Straße ein wenig mehr Licht als sonst, so dass ich mich umwandte, um ihr Gesicht sehen zu können. Selbst dann konnte ich kaum etwas erkennen, außer dass die Reflexion des Schnees ihre weißblaue Todesblässe ihrer Gesichtszüge preisgab. Und immer noch kann ich nicht das nie gekannte Entsetzen vergessen, das mich bei dem düsteren Anblick der garstigen Fratze ergriffen hatte. Aus Furcht zog ich an dem Zügel, den ich hielt, und kämpfte mich nahezu atemlos den Hügel hinauf, um dem unerklärlichen Schrecken, der mich beklemmend zu lähmen drohte, zu entkommen. Den Hügel hoch und über die weite Fläche schneebedeckten Moors und dann hinunter in ein anderes Tal. Ich drängte weiter, ohne mich auch nur einen Moment umzusehen. Erst als ich in das Dunkel des Waldes eingetaucht war, der wie auch zuvor die Straße überschattete, hielt ich an, um nach Luft zu schnappen und zu lauschen. Kein Geräusch war zu hören außer das beängstigende Schnauben und die rastlosen Bewegungen des Pferdes und mein eigener Herzschlag. Ich hatte gerade den Teil der Straße betreten, der unter dem Schatten der Bäume einigermaßen frei von Schnee war (aber nur ein oder zwei Yards vom offenen Moor entfernt), als ich beschloss, wieder aufzusteigen und meinen Schritt so schnell ich konnte zu beschleunigen. Ich drehte mich zu dem Pferd, als mich plötzlich ein schauerliches Kreischen,  eher ein Schrei, durchdrang, der offensichtlich direkt von meiner Schulter kam und mein Herz einen riesigen Satz bis zu meinem Hals machen ließ. Im gleichen Augenblick zog das Pferd mit einem wilden Sprung am Zügel, entriss die Zügel meinen Händen und galoppierte wie verrückt geworden das Tal hinunter bis es außer Sichtweite war. Ich blickte mich um. Etwa 10 Yards von mir entfernt lag im schneebedeckten Moor die alte Frau vor mir, von der ich glaubte, sie meilenweit hinter mir gelassen zu haben, mitten in einem Blutstrahl, der aus  ihrem Nacken herausspritzte. Über sie beugte sich ein Mann, der aussah wie ein Farmarbeiter, alt und grauhaarig, aber noch rüstig und stark. Auch ihn konnte ich vor  dem Schneehintergrund gut erkennen. Seine Hand drückte den Kopf der Frau hinunter gegen ein Stück Fels, mit seiner rechten Hand sägte er und hackte er auf ihre Nackenknochen mit einem Werkzeug wie einer Sichel ein. Im nächsten Moment hielt er den abgetrennten Kopf hoch als wollte er sich selbst von der Vollendung seiner Bluttat überzeugen.

Wald und Nebel im Dartmoor
Wald in Dartmoor, Bild: Susan Yin – Unsplash

Mit einem Schrei erhob ich meine Reitgerte und machte einen Satz nach vorne, um den Schurken zu fassen. Im gleichen Moment fiel ich hin oder war der Länge nach gegen die scharfe Kante eines Granitbrockens, der mir im Wege lag, abgestürzt. Wie lange ich dort betäubt und bewegungslos lag, weiß ich nicht. Als ich wieder steif und kalt zu mir kam und aus der Wunde an meiner Stirn blutete, wo mein Kopf auf den Fels aufgeschlagen war, war der Schnee verschwunden und der Mond schien hell und ruhig über dem stillen Moor. Um mich herum konnte ich nichts weiter sehen als die üblichen Objekte des Moors – Stechginster, Schilfbüschel, Steine und Felsbrocken. Und obgleich ich sorgfältig und erschöpft suchte, konnte ich nicht die kleinste Spur der schrecklichen Tragödie erkennen, von der ich Beobachter war oder es glaubte zu sein. Langsam und schmerzgeplagt  schleppte ich mich auf den Heimweg. Bereits nach einer kurzen Strecke kam mir eine Gruppe Dorfbewohner entgegen, die losgeschickt worden war, um nach mir zu suchen, nachdem mein Pferd ohne Reiter im Stall angekommen war. Ich erklärte, dass ich einen schweren Sturz hatte, und sie trugen mich nach hause. Von den Auswirkungen des schrecklichen Gehirnfiebers, das mich während der Schwermut  der Weihnachtsferien ausgezehrt hatte, habe ich mich nie ganz erholt. Aber niemand außer mir selbst und niemand wird je wissen, was in Wahrheit die Ursache der Krankheit war.“

Siehe Hierzu Gothic Week „Go Gothic“ in Tavistock

#gothic #mystery #gruselroman #geisterroman #halloween #horror #gothicnovel #mockgothic #dracula #kobold #tavistock #catrionaward #dovegrey #lynnehatwell